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Brenn Hex
Plötzlich wars do, die Hex die giftige
die Matz, die mistige
die Hur, die greislige
des Dreckmensch, des listige


Mit nix is kumma ins Dorf
koan Mo, koa Kind, koa Rind
nur Leid hats bracht, Missgunst und Neid
verdrahd hods die Köpf der Mannerleid


Die Haar hats gschmissen
die Haxn gspreizt
hod sie nix gschissen
jeder Depp is neigfoin auf des Deifisweib


A Schand fürs Dorf und für uns Weiber
die muas brenna, richts des Holz her, geht’s weida
auf den Scheiterhaufen zerr ma’s nauf
wehr die ned du Hur, hoits Maul und geh rauf


Geh jetzt schreist und jammerst du elende Hex
des Feier hoid die, lodert‘s und brennt‘s
wia a roade Fackel schaust aus du Mensch
zerfoist jetzt in Staub das ma die nimmer erkennt


Der Herr steh uns bei in dieser Zeit
verscharrt is jetzt die Hurensünd in aller Ewigkeit
Beim Beten vergess ma unser Leid
wegen dem vermaledeiten Weiberleid


Aber jetzt kenn ma nimma schlafa in da Nacht
die Schuld und a schlechtes G‘wissen hat‘s über uns bracht


die Matz die mistige
die Hur die greislige
die Hex die listige
 



 
I bin‘s
Wenn ich an meine Kindheit und meine Ferien im Bayrischen Wald denke, kommt mir immer wieder die Maria Wild und ihre Gruselgeschichten in den Sinn. Meine Eltern und ich verbrachten viele Wochen im Jahr in einem einfachen Zimmer eines Bauernhofes in der Nähe eines kleinen Dorfs unweit von der Stadt Cham entfernt. Heute nennt sich das „Ferien auf dem Bauernhof“.
Damals vor über dreißig Jahren, waren die Höfe längst nicht so modern und angeschlossen an die Infrastruktur wie heute. Meine Eltern hatten wenig Geld und eine Reise ans Meer war fast utopisch weit weg.
Mir war es recht. Ich liebte als Kind das freie Leben auf dem abgeschiedenen Hof. Keine gefährlichen Straßen oder langweilige Spielplätze mitten in der Stadt. Hier konnte ich stundenlang draußen spielen, Katzen, Hunde und Hühner immer in Reichweite zum Streicheln und Beobachten. Unsere Wirtsleute hatten drei Kinder. Seppi, Trude und der kleine Georg. Wir streiften stundenlang durch die Wälder und kamen abends ausgehungert und mit roten Backen zum Abendessen. Brot, Butter und Hartwurst. So einfach und für mich unvergesslich gut. Meine Eltern genossen die Ruhe und halfen dem Sepp und der Rosie bei der Ernte. Bald waren wir alle tiefbraun und erholt vom gesunden Schlaf bei himmlischer Ruhe und frischer Luft.
Wir saßen abends ohne Fernseher und Radio in der guten Stube, alle auf der Eckbank versammelt. Das Herrgottskreuz mit kleinen Danktafeln und frischen Blumen hing in der Ecke und war ebenso wenig wegzudenken wie der Besuch von Maria Wild. Die alte Frau kam regelmäßig zu unseren Wirtsleuten. Sie arbeitete früher als Magd auf dem Hof und ihr Besuch war für uns Kinder das Größte.
Buckelig und mit krummen Beinen kam sie laut schnaufend durch die Tür. Das Kopftuch tief ins runzelige Gesicht geschoben, der Mund ohne Zähne, setzte sie sich schwerfällig zu uns und bekam auch gleich einen Schnaps und eine Brotzeit gereicht. Für mich Stadtmädel war sie der Inbegriff einer alten Hexe. Mit großen Augen beobachtete ich ihr Schmatzen und Schlürfen und wartete gespannt auf ihre Erzählungen aus dem Dorf. Denn sie erzählte nicht nur Tratsch und Ratsch sondern wusste die gruseligsten und unheimlichsten Geschichten.
Auch wenn wir Kinder danach Angst hatten, liebten wir ihre Erzählungen über alles. Meine Eltern waren nicht begeistert, denn meistens wollte ich danach nicht allein in meiner Kammer schlafen, sondern zu meiner Mutter ins Bett kriechen. Trotzdem gehörte der Besuch der Alten zu meinen schönsten und schaurigsten Erinnerungen an diese Ferienzeit.
Einen Abend habe ich noch besonders in Erinnerung.
Kaum war die Alte in die Stube gekommen, brach ein heftiges Gewitter los. Der Sturm pfiff um das Haus und es blitzte und donnerte wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Die Maria Wild schüttelte den Kopf „So a Wetter haben wir scho lang nimma ghabt, geh Rosie, zünd die Wetterkerzen an“. Das waren schwarze Kerzen mit Marienbildern und sie wurden angezündet um einen Blitzschlag abzuwenden. Als die Maria mit ihrer Brotzeit fertig war, rülpste sie genüsslich und schaute auf uns Kinder.
„ So, ihr habt sicher Angst gell?“
Wir nickten ehrfürchtig, gespannt was jetzt kommen mag. Die Maria Wild redete, wenn wir „Stoderer“ anwesend waren, eine Mischung zwischen Hoch- und Niederbayrisch, damit wir auch alles verstehen konnten.
„ Jaja, ich hab schon viele Wetter erlebt. Früher hier auf dem Hof gab‘s kein elektrisches Licht. Wir beteten zusammen und hofften, dass der Blitz nicht einschlägt. Wir mussten immer nach dem Vieh schauen und raus in den Regen, der Hans und ich“.
Der Hans war der Knecht gewesen.
„Aber das Schlimmste, was i mal bei einem Wetter erlebt hab, mag i kaum erzählen. I war noch ein Kind, so wie ihr. Da gab‘s nix zum Beissen. Jeder hat gschaut wie er um die Runden kommt. Der Futterneid macht alle ungerecht. Ja mei, wen will man da verurteilen.“

„Da kam eines Tages ein junger Mann ins Dorf, a komischer Vogel, mit einem dunklen Bart und Augen so groß wie Schusser. Der wollte arbeiten und hat überall rum gfragt, auch auf dem Hof vom Waginger Schorsch. Der Schorsch wollte den aber auch nicht auf dem Hof haben. Unheimlich war der und gfährlich sah er aus. „Wer bist denn du?“ fragte der Schorsch den Mann. „Kennst mi denn ned, i bin‘s.“ „Wer i?“ Dem Schorsch lief a Gänsehaut über den Buckel als er die grauslige Stimme hörte. „I bin‘s“ sagte der wieder und plötzlich waren dunkle Wolken am Himmel und die Vögel haben nimma gsungen. Der Schorsch ist dann in sein Haus glaufen und hat die Türe zugsperrt. Herzklopfen hat er ‘habt und ganz schlecht war ihm. Als er aus dem Fenster rausgschaut hat, war der Mann verschwunden. Später in der Wirtschaft hat er es dann den anderen erzählt und fast alle Bauern hatten das gleiche Erlebnis ghabt mit dem unheimlichen Kerl.
Mein Vater ist später heim gkommen und hat es meiner Mutter erzählt.
"I war noch wach und habs ghört wie die Mutter gleich die Haustür doppelt abgsperrt hat. In der Nacht ist dann ein Wetter aufzogen, mit Blitz und Donner und der Sturm hat ums Haus pfiffen. Dann nach Mitternacht, wir haben schon gschlafen, hats klopft an unserer Tür.
Wir sind alle aufgschreckt und mein Vater wollte schon zur Tür gehen, da hörten wir draußen „I bin‘s, lassts mi rein“ und ein grauseliges Lachen hörten wir. Dann hat es wieder an der Tür ghämmert. Meine Mutter hat mich auf ihren Schoss gnommen und wir haben uns auf die Eckbank unter den Herrgottswinkel gsetzt und gebetet.“ „Der Sturm tobte ums Haus, aber das Klopfen hat auf‘hört. Irgendwann sind wir dann alle wieder ins Bett.
`“Am nächsten Morgen kam gleich der Schorsch zu uns und erzählte, dass er auch vom dem Mann heimgsucht worden ist. Beim Baader Fritz und bei den Lanzingers, bei jedem Hof hat der Unhold gklopft und uns alle in Angst und Schrecken versetzt“.
„Gsehen haben wir den Kerl aber nimma, aber nach ein paar Wochen haben wir in der Zeitung glesen, dass im Nachbarsdorf auf dem Schratzinger Hof die kleine Tochter und die Oma an einem seltsamen Fieber gstorben sind. Die Eltern haben die Krankheit überstanden aber die konnten sich nimmer recht erholen von ihrem Leid“.
„Der Knecht, den sie kurz vorher eingstellt hatten, war verschont blieben, war aber plötzlich verschwunden. Der hat sicher das Fieber gebracht, meinten alle. Ja, ja, des war der grauslige Unhold, den wir alle nicht reinglassen haben sonst wären wir vielleicht auch krank gworden oder gstorben. Der Tod hat da an unserer Tür gklopft“ schnarrte die Alte und sah uns mit ihren großen dunklen Kohlenaugen an.
„Geh Maria, was du immer alles erzählst“. Die Rosie schüttelte den Kopf und streichelte mir über die glühenden Wangen.
 „Des stimmt, was ich gsagt hab. Aber is scho richtig, man darf niemanden reinlassen, den man ned kennt, gell“ sagte die Maria Wild und wackelte mit ihrem Kopf in unsere Richtung. Wir Kinder nickten heftig.
Später als das Gewitter vorüber war und die Alte wieder zurück ins Dorf ging, brachte mich meine Mutter ins Bett.
„Mama, das war schon eine unheimliche Geschichte“.
Meine Mutter lächelte mich an. „Du darfst nicht alles glauben, was die Frau Wild erzählt. Sie hat sicher früher viel erlebt und spinnt gerne ihr eigenes Garn. Aber sie hat recht wenn sie sagt dass man Fremde nicht ins Haus lassen darf, gell?“. 
Ich nickte.  „Besonders wenn sie nur „I bin‘s“ sagen“.
 
 



Das Haus der Friseurin
Das Haus stand schon seit fast zwei Jahren leer. So ein hübsches Haus. Der Garten verwildert, mit herrlichen Beeten, Büschen und Bäumen. Mitten im Dorf in einer kleinen Gasse. Ruhig. Wer so was mag. Das Schild „Günstig zu verkaufen“ lockt keinen an wenn ein schrecklicher Mord darin passiert ist. Abergläubisch waren die Menschen im Dorf, fürchteten sich vor dem Haus.
So eine junge Frau musste darin sterben. Der eigene Ehemann hatte sie mit ihrer Schere erstochen. Mitten ins Herz. Verblutet ist sie auf der Treppe zum ersten Stock. Der Mann hatte sich danach in sein Auto gesetzt und ist gegen den nächsten Baum gefahren. So hübsch war sie. Friseurin. Hatte viele Kunden gehabt in dem kleinen Geschäft in der Kreisstadt. Schöne Frisuren hat sie gemacht. Ist zu einem ins Haus gekommen, Brautfrisuren gesteckt, Dauerwellen gelegt. Oft umsonst nachgeschnitten. Eine gute Frau war das. Er war so eifersüchtig, hat ihr nicht getraut. Hat ihr Liebschaften unterstellt, mit Kunden. So ein Schmarrn, eine gute Frau war das. Der war verrückt. Aber wer will in so einem verdammten Haus jetzt leben?
Julia Krieger aus Frankfurt wollte. Sie las eines Morgens beim Frühstück die Anzeige. Sie rief bei der Maklerin an und vereinbarte einen Termin. Sie verliebte sich sofort in das kleine Juwel. Genauso ein Haus hatte sie gesucht. Wollte weg aus der Stadt, zu sich kommen, Ruhe finden. Julia Krieger war die Richtige für dieses Haus. Das spürte auch die Maklerin und zeigte die Vorzüge.
Hell, neu, die Küche ein Traum, Parkett, so geschmackvoll. Frau Krieger kannte die Vergangenheit des Hauses. Mit festen Schritten ging sie durch jedes Zimmer. Blieb kurz stehen und schloß die Augen. Bewegte die Lippen. Sprach ein leises Gebet. Strich mit den Fingern über das Treppengeländer. Gab der Maklerin die Hand und besiegelte den Kauf.
Julia Krieger zog im Frühsommer von ihrer kleinen Zwei-Zimmer Wohnung in das Einfamilienhaus. Fast ohne Möbel aber mit viel Liebe und Gespür für Farbe. Sonnengelb und fliederfarben bauschten sich bald die zarten Vorhänge an den frisch geputzten Fenstern. Das Parkett glänzte. Die wenigen Möbeln unterstrichen den Geschmack der neuen Bewohnerin. Julia Krieger war bereit für ihr neues Leben. Sie wollte wieder etwas spüren. Sich wieder wahrnehmen, nach der harten Scheidung, den Jobverlust akzeptieren. Den Tod der Eltern verarbeiten, die erstandene Erbschaft sinnvoll nutzen. Das Haus würde ihr dabei helfen, ihre vernachlässigten Sinne wieder zu schärfen.
Sie hatte keine Angst. Die Nächte waren himmlisch, die Grillen zirpten, das Mondlicht erhellte ihr Schlafzimmer. Am Tag zwitscherten die Meisen in den Bäumen und Julia Krieger fand langsam wieder ins Leben zurück.
Das Dorf nahm sie behutsam in sich auf. Redete mit den Leuten. Hörte die Geschichte des Hauses an jeder Straßenecke, beim Bäcker und Metzger. Versuchte die Menschen zu verstehen.
Versöhnte die Vergangenheit mit der Gegenwart. Sie wollte alles klären, damit sie klar denken konnte. Julia Krieger fühlte sich langsam angekommen.
Eines Tages entschied sich Julia Krieger zwei Frauen in ihr Haus einzuladen. Frauen die sie bereits etwas näher kannte und die Lena, die tote Friseurin, sehr mochten. Hella, ihre direkte Nachbarin und Silvia, die Frau des Metzgers. Die beiden Frauen waren immer noch traurig und verstört über den gewaltsamen Tod der Freundin. Julia spürte, dass sie Angst vor dem Haus hatten und sich Vorwürfe machten, dass sie Lena nicht helfen konnten oder die bedrohliche Situation nicht früher erkannt hatten. Sie wollte den Frauen die Angst nehmen. Ihnen zeigen, dass sie in dem Haus nichts zu befürchten hatten und ihnen die Möglichkeit geben, der Freundin nahe zu sein. Lena hatte ihr Haus über alles geliebt.
Julia freute sich auf den heutigen Besuch. Sie ging durch die Räume und blieb an der Treppe stehen, die in den ersten Stock führte. Hier hatte die Friseurin ihr Leben verloren. Sie tat an diesem Treppenaufgang ihren letzten Atemzug. Julia hatte Mitleid mit dieser Unbekannten. Sie setzte sich auf die erste Stufe und strich mit dem Finger über das glatte Holz. Das erste Mal gestattete sie sich diese Nähe zu der Verstorbenen. Sie fühlte schon länger, dass sie Kontakt aufnehmen konnte. Julia spürte die Schwingungen als sie zum ersten Mal das Haus betrat. Sie hatte keine Angst davor, es war richtig sich erst selber einen Platz in dem Haus zu schaffen, bevor sie sich eine spirituelle Begegnung wünschte.

Julia schloss die Augen. „Ich weiß, dass du hier bist. Ich danke dir, dass du mir gestattet hast hier einzuziehen. Ich möchte dass du dich hier weiterhin willkommen fühlst. Es ist auch immer noch dein Heim“. Julia Krieger öffnete die Augen.
Sie stand langsam auf und ging in ihre Küche. In zwei Stunden wollten die Frauen zu einem Kaffee zu ihr kommen. Sie hatte noch viel zu tun. Sie buk einen Marmorkuchen und stellte ihn in den Herd, dann deckte sie den Holztisch im Esszimmer ein. Sie nahm ihr schönes Rosengeschirr und dekorierte liebevoll die Kaffeetafel mit Blumen und Teelichtern.
Julia war zufrieden. Sie ging ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah grauenvoll aus. Vernachlässigt. Das braune schulterlange Haar hing ihr strähnig ins Gesicht, obwohl frisch gewaschen, sah es leblos und stumpf aus. Ungepflegt und ohne Schnitt.  Ihre Haut hatte Sorgenfalten bekommen. Der Mund wirkte verdrossen und müde. Julia schminkte sich so gut es ging und bürstete sich das Haar. Wütend knallte sie die Haarbürste auf die Ablage und wühlte durch die strohige Haarmasse. „Ahhhh“ grollte sie ihrem Spiegelbild zu. „du alte Hexe, kein Wunder dass er dich verlassen hat“.
Julia begann zu weinen. All die zurückgehaltenen Tränen der letzten Monate schienen aus ihr heraus zufließen. Ihre Schultern bebten vor Traurigkeit und Wut. Plötzlich spürte sie eine zarte Berührung an ihrer Wange. Das federleichte Streicheln ging hoch zu ihrem Scheitel und wie von Geisterhand begannen sich Julias Haare zu drehen. Sie wirbelten sanft nach oben, zwirbelten sich in der Luft und steckten sich zu einem zauberhaften Dutt zusammen. Ein paar lockere Strähnchen kringelten sich wie von selbst um ihre Ohren und Julia sah im Spiegel eine wunderschöne Frisur.
Julia zuckte zusammen als der Wecker klingelte und der Kuchen aus dem Herd musste. Fassungslos starrte sie ihr Spiegelbild an und wusste nicht ob sie schreien oder lachen sollte. Sie atmete tief durch und sagte laut
„Ich danke dir von ganzem Herzen“.
Schnell ging Julia in die Küche und holte den Kuchen aus dem Backofen. Mit zitternden Händen zuckerte sie den Kuchen ein und stellte ihn auf den Esstisch. Nur nicht nachdenken, jetzt nicht so viel nachdenken.
Es klingelte und Julia öffnete die Türe. Hella und Silvia standen da, und als sie Julia sahen bekamen sie große Augen. „ Kommt erst mal rein.“ begrüßte Julia die beiden.
Sie gingen wortlos zu dem herrlich gedeckten Tisch und Julia goss Kaffee in die Tassen. Ihre Hände zitterten. Julia setzte sich und redete sich gleich alles von der Seele. Sie meinte zu spüren, dass sie den beiden Frauen gleich reinen Wein einschenken musste, sonst konnte sie hier kein belangloses Plaudern durchstehen.
„Und plötzlich war der Dutt fertig und ich dachte ich kippe gleich um. Alles hält ohne Klammern“ Julia atmete tief durch. Sie rechnete damit, dass die beiden gleich wieder gehen würden nach dieser verrückten Geschichte.
Silvia sah Hella an. „Julia, als ich dich an der Tür gsehen hab, ist mein Herz kurz stehen blieben. Genau die gleiche Frisur hat mir Lena zu meiner Hochzeit gsteckt. Diese geflochtenen Seitenhaare, waren ihr Markenzeichen, sie wollte dass ich es seh.“ Silvia begann zu weinen und Hella und Julia streichelten ihr die Hände. „Sie war unsere Freundin, Julia, sie war was ganz Besonderes und eine Meisterin in ihrem Beruf. Als sie starb haben wir wochenlang geweint. Der Schock sitzt immer noch tief und jetzt dieses Zeichen, des is wie a Befreiung“.
„Sie ist noch imma da“ sagte Hella mit leiser Stimme. „Julia, du bist wirklich willkommen in ihrem Haus, denn nur wen Lena wirklich gmocht hat, dem hat sie solche Frisuren gsteckt. Sieh es als Willkommensgruß in ihrem Heim, das sie so gern ghabt hat“.
Die Frauen hielten sich immer noch an den Händen und obwohl sie sich noch nicht lange kannten, spürten sie eine tiefe Verbundenheit. Erleichtert und glücklich freuten sie über diese Erkenntnis und sie redeten und erzählten sich gegenseitig ihre Erfahrungen und Lebensgeschichten bis in den späten Abend.
 Julia war selig. So lange hatte sie nicht mehr Menschen um sich gehabt, die sie zum Lachen brachten und offen über sich erzählten. Den ganzen Abend spürten sie Lenas Anwesenheit und fühlten eine wunderbare Verbindung zu der toten Frau.
Als sich die neuen Freundinnen später verabschiedeten, umarmten sie sich innig und herzlich. Letztendlich hatte Lena den Frauen den Einstieg zu einer wunderbaren Freundschaft ermöglicht. Sie war immer noch unter ihnen und lebte in ihren Herzen weiter.

Julia schloss die Tür und setzte sich auf die Treppenstufe. „Lena, du und ich haben jetzt unseren Frieden gefunden. Ich danke dir für dein großzügiges Geschenk, deine Freundinnen.“
Julia lächelte als sie ein zartes Streicheln auf ihrer Wange spürte und ihr wunderschön gestecktes Haar fiel in weichen Wellen sanft zurück auf ihre Schultern.
 



 
 
Tinte des Unheils
Wenn in der Nacht das Telefon klingelt ist es meistens keine gute Nachricht. Ich schreckte hoch und tappte im Dunkeln nach meinem Handy.
„Kathi, die Oma ist tot“, schluchzte meine Mutter ins Telefon. An Schlaf war danach natürlich nicht mehr zu denken, und ich packte nach vielen Tränen in aller Herrgottsfrühe meinen Rucksack, verabschiedete mich von meiner Mitbewohnerin und fuhr mit dem nächsten Zug von München nach Rosenheim, wo mich mein Vater am Bahnhof abholen wollte.
Ich studierte seid drei Jahren in München und fuhr meistens nur zu Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen nach Hause zu meinen Eltern, die in einem kleinen Dorf in der Nähe von Rosenheim wohnten. Der Tod der Oma war zwar absehbar, sie war alt und kränklich aber das es so schnell ging damit hatte keiner gerechnet. Sie lebte noch allein in ihrem kleinen Haus mitten im Dorf und versorgte sich weitgehend selbständig. Meine Eltern sahen täglich nach dem Rechten, und diese fanden sie auch nach dem Mittagessen auf dem Sofa. Sie war einfach eingeschlafen. Ganz kalt war sie schon, erzählte die Mama aber auf ihrem Gesicht lag ein friedliches Lächeln.
Während der Zugfahrt fielen mir die vielen Geschichten der Oma ein die sie mir immer erzählte. Mit Kakao und Plätzchen saß ich auf ihrem durchgesessenen Ohrensessel und lauschte ihren Erzählungen. Wenn ich bei ihr übernachten durfte packte sie mich in ihr großes knarrendes Holzbett mit den „Paradekissen“ und stopfte mir noch eine Wärmflasche unter die Bettdecke. Da lag ich dann und lauschte den Rauschen der Tannen draußen im Garten und fühlte mich immer ein wenig wie „Heidi“.

Die Tränen liefen mir über die Wangen als mich mein Vater am Bahnhof in die Arme nahm. Auf der Heimfahrt erzählte er mir, dass die Oma genau aufgeschrieben hatte wie sie die Beerdigung haben wollte und die Mama und er schon alles mit dem Pfarrer besprochen hatten.
 
Das war das Gute an einem Dorfleben. Keiner stand allein da mit seinem Kummer und der Organisation einer Beerdigung. Alles andere am Dorfleben ließ mich eher erschauern, war ich doch inzwischen ein richtiges „Stadtgewächs“ geworden.
Meiner Mutter lief ich zu Hause in die offenen Arme und sie wiegte mich wie ein kleines Mädel das sich die Knie aufgeschlagen hatte.
Am Kaffeetisch wurde mir dann alles nochmals erzählt, die Oma läge jetzt in der Aussegnungshalle mit ihrem guten Gwand und morgen war die Beerdigung mit „Ave Maria“ am Anfang der Messe und später dann „Großer Gott wir loben Dich“ beim Kirchenauszug.
„Den Blumenschmuck haben wir schon bestellt und das Essen machen wir beim Kramerwirt“ Mama tupfte sich die Tränen mit einem Spitzentaschentuch weg. Sie tat mir wirklich leid, wenn die Mutter stirbt war es egal wie alt diese war. Es ist ein harter Abschied, so oder so.

Der Tag der Beerdigung war warm und sonnig, die Messe ergreifend mit vielen Beileidswünschen und Tränen. Die meisten Trauernden waren alte Leute, die mit der Oma aufgewachsen waren, meine Cousine und ich waren so ziemlich die Jüngsten am Grab.
Die „Tante Resi“, die beste Freundin meiner Großmutter weinte die ganze Messe durch. Klein und schrumpelig stand sie mit ihrem alten Mantel und der abgewetzten Handtasche da und schüttelte traurig den Kopf. Ich mochte sie immer von den ganzen Bekannten der Oma am liebsten. Der Leichenschmaus zog sich etwas hin, bis eben jeder seine Geschichte erzählen konnte und am späten Nachmittag ging ich dann mit der Mama zum Haus der Oma, um die guten Sachen einzupacken bevor dann der Sperrmüll kam. Der spärliche Hausstand wurde bereits an Interessierte oder Bedürftige verteilt.

Das Haus wirkte so verwaist. Meine Mutter ging in die Küche wickelte das Geschirr ein. Ich betrat die gute Stube und schaute mich um. Alles war so alt und abgegriffen, aber sauber und ordentlich. Auf Omas alter Anrichte standen Fotos von ihr. Ich zog eine Schublade auf und fing an auszuräumen. Alte Bilderrahmen, Bücher und ein kleines Holzkästchen lagen darin.
 
Ich setzte mich auf einen alten Sessel und öffnete die kleine Kiste. Omas Bernsteinkette lag darin, ein weißes Taschentuch mit Rosenstickerei und ein marmorierter weinroter Füllfederhalter.
Ich nahm ihn heraus und strich vorsichtig über das glänzende Ornament. Schön war der, ich hatte ihn noch nie gesehen bei der Oma. Ganz neu sah er noch aus, die goldene Schreibspitze funkelte in der Sonne die durch das kleine Fenster schien.
„Jessas Maria und Josef, da hört sich doch alles auf“. Ich schreckte hoch und sah auf die Tante Resi, die wie eine Furie auf mich zukam und mir den Füller fast aus der Hand riss.
„Des gibts doch nicht, wo hast du denn den her?“ Die Tante Resi war außer sich, ihre Hände zitterten und ihre sonst so fahlen Wangen waren feuerrot.
„Geh Tante Resi, was ist denn mit dir los?“ fragte ich erschrocken. „Der Oma ihre Sachen schau ich mir halt an.“
Die Tante Resi hatte sich wohl wieder etwas in der Gewalt denn sie setzte sich neben mich auf das Sofa auf dem die Oma gestorben war und sah mir fest in die Augen, den Füllhalter mit der Hand krallenartig umklammert, dass die Knöchel weiß hervor traten.
„Schau Kathi, ich hab mich echt erschrocken als ich dich mit dem Füller gsehen hab. Ich dachte die Luise hat ihn vernichtet, so hatten wir das besprochen.“
Ich streichelte der Tante Resi die kalte Hand. Beide schauten wir auf das harmlose Schreibgerät, jede mit anderen Gedanken im Kopf.
„Was ist denn mit dem Füller so Schlimmes passiert, ich hab mich echt erschrocken, so hab ich dich ja noch nie erlebt.“ Irritiert beobachtete ich die Tante Resi deren Blicke durch das kleine Wohnzimmer huschten als ob uns jemand beobachten würde.
„Kathi, pass jetzt gut auf was ich dir sag. Es ist eine ganze furchtbare Gschichte passiert, früher, als die Luise und ich noch junge Mädeln waren. Schuld daran war nur dieser kleine Teufel.“ Die Tante Resi öffnete ihre faltige Hand und der Füllhalter rollte in ihrer Handmulde leicht hin und her.
„Ich nehm‘ den jetzt mit, damit kein neues Unheil über uns kommt.“
„Tante Resi, sagte ich schnell „so einfach kommst du mir damit aber nicht davon. Ich möchte schon wissen was es damit auf sich hat, schließlich gehört der Inhalt des Kasterls uns und da war auch der Füller drin.“ Jung war ich noch aber nicht mehr schüchtern und die Neugierde machte sich immer mehr in mir breit. Die Tante Resi stand langsam auf, steckte den Füller in ihre alte Handtasche, wackelte zur Wohnzimmertüre und drehte sich zu mir um. „Gut Kathi, aber nicht hier bei der Luise. Komm morgen Nachmittag zu mir auf einen Kaffee dann erzähl ich dir die ganze Gschicht“.

Die Tante Resi wohnte in einer kleinen Wohnung über der Dorfbäckerei, früher als Kind habe ich nach einem Besuch mit der Oma immer noch was Süßes auf dem Weg vom Bäckermeister Karl mitbekommen. Der hatte angeblich jahrelang eine Verhältnis mit der Tante Resi gehabt, seine Frau war eine geizige Wetterhexe, da war es ihm wohl nicht zu verübeln, dass er sich öfters Trost bei der jungen Resi holte.
Heute stand der Sohn vom Bäckermeister Karl im Laden, die Eltern schon lange tot, versuchte er sich jetzt als Biobäcker, und da es der einzige Laden im Dorf war, lief es ganz gut obwohl er für seine glücklichen Brezn mehr als üblich verlangte. Das alles hatte mir meine Mutter heute Morgen schon beim Frühstücken erzählt als ich in eine Kürbisroggensemmel biss. Ich erzählte den Eltern nichts über den gestrigen Vorfall, nur dass ich die Tante Resi heute besuchen würde weil sie mir alten Geschichten über die Oma erzählen möchte.

Ich machte mich dann nach einem Mittagsschläfchen auf den Weg durchs Dorf und wurde dabei immer wieder aufgehalten von den Leuten um ein bisschen was über mich oder die Oma zu erzählen. Die Dorfbewohner kannte ich fast alle nur die neu Dazugekommenen kannte ich nicht mehr.
Pünktlich um drei klingelte ich aufgeregt bei Tante Resi, mit einem Blumenstrauß in der Hand.
Herzlich umarmte mich die kleine Frau und winkte mich auf ein Sofa das gemütlich mit Zierkissen in einer Ecke stand, davor ein schön gedeckter Kaffeetisch mit selbstgebackenen Käsekuchen.
„Ich kauf doch dem Halsabschneider da unten keinen Kuchen ab“ grummelte die Tante Resi auf meine Frage warum sie sich solche Arbeit gemacht hat.

„So Kathi, jetzt erzähl ich dir eine Gschichte, die du nicht glauben wirst. Aber du sollst sie hören, damit du verstehst, warum ich den Füller mitgnommen hab“ begann die Tante Resi nachdem wir den Kuchen gegessen hatten und sie mir Kaffee nachgeschenkt hatte.
Ich schluckte den letzten Bissen runter und nickte ehrfürchtig. Die Augen der Tante Resi waren leicht feucht und ihre Stimme hatte einen heiseren Unterton als sie zu erzählen begann.
„Deine Oma und ich waren die besten Freundinnen, schon seit der Schule. Wir haben immer die Köpfe zusammen gesteckt und gekichert bis der Herr Lehrer uns leider auseinander gsetzt hat. Später als die Luise dann bei der alten Schneiderin in die Lehre gangen war und ich auf dem Hof mithelfen musste, haben wir uns an den Wochenenden getroffen nach der Kirche und abends zum Fortgehen. Es war eine schöne Zeit, kein Tanzbodenfest lief ohne uns und wir zwei waren fesche Madeln, das kannst du ruhig glauben“
 „Weil wir nicht mehr so viel Zeit zusammen hatten haben wir uns ein Tagebuch gekauft. Da haben wir dann alles rein gschrieben, was uns wichtig war, die Tanzveranstaltungen, wenn wir neue Kleider kaufen gingen, aber auch unsere Ängste und Sorgen. Jede hatte das Tagebuch eine Woche, die Gschichten von den Wochenenden haben wir gemeinsam verfasst. Da konnten wir die Köpfe wieder zammenstecken und lachen und weinen wie es grad so kam.
Einmal dann, es war im Frühling, kamen einige Zigeuner mit ihren Wohnwagen und bauten ein kleines Volksfest auf dem Acker vorm Kramerwirt auf. Ein kleines Karussell gabs und eine Losbude. Deine Oma und ich haben uns viele Lose gkauft und einmal auch gwonnen...“
 
Die Tante Resi trank einen Schluck Kaffee und ihre Augen schauten ins Leere, die Lippen zu einem Strich zusammen gepresst.
„Die Luise zog das Gewinnerlos und wir bekamen den Füllfederhalter als Preis. Ich seh‘ ihn heut noch, den dunkelhaarigen Zigeuner mit dem Spitzbart wie er ihn der Luise in die Hand gelegt hat.“
„Gut aufpassen junges Freilein, Wahrheit liegt in Worten, wie man schreibt!“
„Die Luise und ich freuten uns über den schönen Füllhalter und kauften uns gleich im Schreibladen ein blaues Tintenfass. Auf dem Tagebuchpapier flitzte der Stift nur so drüber, es war eine Freud mit ihm zu schreiben. Wir liebten ihn über alles und die Luise hatte ein Holzkasterl mit rotem Samt ausglegt damit der Füller nicht verkratzte und einen schönen Platz hatte.

Eines Nachmittags kam die Luise ganz aufgregt zu mir nach Hause und erzählte mir, daß sie mit unserem Füller etwas Gehässiges über die neue Magd auf ihrem Hof in das Tagebuch geschrieben hätte. Plötzlich schrieb der Füller den Namen der Magd rot und nicht mehr blau und das ganze wäre ihr so unheimlich gwesen, dass sie den Füller in die Ecke gschmissen hätte. Sie zog das Tagebuch aus ihrem Beutel und zeigte mir ihren Eintrag. Der Name der Magd Anna war tatsächlich knallrot und hob sich grausig von der restlichen blauen Schrift ab.“
„Und weißt, was dann heut morgen passiert ist, Resi. Die Anna hat sich beim Brot schneiden die halben Finger abgeschnitten und musste ins Krankenhaus gefahren werden. Der Stift ist mir nicht geheuer, Resi, ich glaub der ist verzaubert und dann ist mir noch eingefallen was der Zigeuner gesagt hat“ jammerte Luise.
„Geh, sagte ich und packte die Luise am Arm. „Das mit der Anna war Zufall, dem dummen Trampel passiert doch ständig was, aber das mit der roten Schrift ist schon grausig. Da muss ich noch drüber nachdenken.“
 Tante Resi schaute mich mit feuchten Augen an. „Was ich aber leider nicht gründlich genug tat.“
„Nach einem Monat, als wir das unheimliche Geschehen schon fast vergessen hatten, lernten wir an einem Samstagabend auf einem Tanzbodenfest zwei nette Burschen aus dem Nachbardorf näher kennen. Die beiden hatten uns schon beim letzten Fest angeblinzelt, aber damals ging das nicht so schnell mit dem Ansprechen. Wir tanzten mit den Burschen die ganze Nacht und verabredeten uns fürs nächste Wochenende zum Frühlingsfest.
„Mei, haben wir glacht die Luise und ich als wir zusammen nach Hause gingen.“
 „Weißt Resi,“ sagte die Luise, „jetzt hat unser Füller aber viel Arbeit, wenn wir das alles aufschreiben wollen, so viel wie die uns heut erzählt haben.“
„Willst du ihn denn wieder hernehmen“, fragte ich vorsichtig, denn seit der Geschichte mit der Anna hatten wir den Füller nicht mehr benutzt.
 „Lass es uns einfach versuchen, es wäre doch schade, wenn der schöne Stift im Kasterl liegt und vor sich hin stinkt.“ lachte Luise.
„Am nächsten Tag wollten wir dann gleich alles niederschreiben sonst vergisst man vielleicht ein Kompliment oder eine Schmeichelei was der eine oder andere gsagt hatte.
Die Luise war mit dem Schreiben dran. Vorsichtig holte sie den Füller aus der Holzkiste, so schön funkelte er im Morgenlicht, richtig wohlig hat er sich in der Hand geräkelt. Sie tauchte den Füller in das Tintenfass und plötzlich schoss die Hand der Luise über das Tagebuchpapier und sie fing wie eine Besessene zum schreiben an. Die Luise schrieb „der Franz und der Wolfgang sagten dann ...“ als sie plötzlich aufhörte zum schreiben und der Füller auf den Boden fiel. „
„Oh Gott Resi schau nur“! schrie Luise.
„Beide schauten wir auf das Tagebuch und konnten es nicht glauben. Die Namen der Burschen waren im Gegensatz zu den anderen Wörtern rot wie Blut. Sie stachen heraus zwischen den blauen Buchstaben wie zwei Blutstropfen.
„Schau, sagte ich, „die Wörter danach sind wieder blau“. Ungläubig starrten wir auf die vollgeschriebenen Seiten, die roten Namen leuchteten uns in die Augen.“
„Resi, ich hab Angst“ jammerte die Luise, „da war so eine Kraft in mir, als ob ich es nicht mehr war der da schreibt“. Wir starrten auf unser Tagebuch. Schnell hob ich den Füller auf und legte ihn in die Holzkiste.
„Da bleibt er jetzt, hörst du“, sagte ich entschlossen. „Wir nehmen den jetzt nicht mehr her und jetzt denken wir nicht mehr dran und beten ein Vaterunser“.
„Das nächste Wochenende konnten wir trotzdem kaum erwarten, wir zogen unser bestes Gwand an, kniffen uns in die Backen, damit sie rosig wurden und legten den guten Schmuck an und auf ging’s zum Fest. Der Franz und der Wolfgang kamen uns schon gsund und munter entgegen und wir hatten einen wunderschönen Abend und vergaßen schnell das grausige Erlebnis oder besser gsagt wir dachten nicht mehr nach. Die beiden waren wirklich nette Männer, so anständig und aufmerksam. Vielleicht dachten wir damals auch, dass die rot geschriebenen Namen auch etwas Schönes bedeuten könnten.
„Nächste Woche ist Fahnenweihe in Traublingen da fahren wir hin, wir holen euch ab am Samstag mit den Radl’n um sieben“, sagten die verliebten Burschen und wir freuten uns alle wie die Kinder.
„Kathi, damals galt das Wort eines Mannes noch, nicht so wie heute wo alles nur noch übers Handy abgewickelt wird“. sagte Tante Resi ernst.
Ich konnte ihr nur beipflichten.

Tante Resi legte ihre faltige Hand in die meine und erzählte weiter.
„Ein Woche kann so lang sein und da wäre ein Handy nicht schlecht gwesen, aber wir hatten nicht mal ein Telefon und so mussten wir einfach darauf vertrauen dass die Burschen am Samstag wie versprochen an der Haustüre läuteten. Die Luise und ich saßen schon blitzblank und fesch um sechs auf der Eckbank und machten uns schöne Gedanken. Immer wieder schob eine von uns den kleinen Vorhang am Fenster zur Seite und schaute hinaus.
„Hast doch genau gsagt wo‘s hinkommen sollen, setz dich hin du machst mich ganz narrisch mit deiner Schauerei“ sagte ich zur Luise.
 
„Mit klopfenden Herzen bangten wir unserer Zukunft entgegen, denn so eine Verabredung kam schon fast einer Verlobung gleich. Die Zeit verging, die laute Uhr in der Ecke tickte grausam vor sich hin, aber die beiden kamen nicht.
Um viertel nach sieben waren wir nervös, um halb acht unruhig und später bekamen wir beide schreckliche Angst.
„Hoffentlich ist nix passiert“, flüsterte die Luise in mein Ohr.
„Deine Uroma tröstete uns und schimpfte auf die Männerwelt dass eben auf die „Bagage“ kein Verlass mehr sei.
„Am nächsten Morgen. nach einer schlaflosen Nacht, wir saßen beim Frühstück, kam der Knecht vom Wengerhof und erzählte, dass es gestern einen fürchterlichen Unfall auf dem Bichlerhof gegeben hätte, der Bichler Wolfgang und der Zauner Franz sind beim Heuwenden vom Schober runter gfallen und direkt in zwei aufgestellte Mistgabeln rein.
Sie waren beide sofort tot.“
„Die Luise und ich saßen mit offnen Mund da und hörten gar nimmer, was der Knecht noch alles erzählte. Die Nachricht ließ uns die Haare zu Berge stehen, nicht nur um den schlimmen unglaublichen Unfall und den Verlust der zwei verliebten Burschen. Wir fürchteten uns vor dem Füllhalter, die zwei roten Wörter, gschrieben von diesem unseligen Stift des Grauens der uns schon wieder verhöhnt hatte und das Unglück voraus gechrieben hat.
Diesmal gnadenlos und grausam.“
„Die folgenden Tage konnten wir kaum überstehen, wir hielten uns an den Händen, weinend und zitternd, trauten uns nicht darüber zu reden oder andere einzuweihen. Wir versprachen uns, keinem etwas zu erzählen und den Füllhalter zu vernichten. Luise versprach den Beelzebub zu zerstören, damit keine mehr von uns in Versuchung kam mit ihm zu schreiben, denn jetzt waren wir uns sicher, dass er vom Teufel kam.“
Die Tante Resi tätschelte meine kalt gewordene Hand und setzte sich wieder aufrecht hin.
„Jetzt weißt Kathi warum ich so aufgregt war, als ich dich mit dem Füller gsehen hab“.
Das war eine unglaubliche Geschichte und mir war wirklich gruselig zu Mute. Die Gänsehaut auf meinem Rücken nahm ich erst jetzt wahr.
„Tante Resi, das ist wirklich schlimm was euch da passiert ist, ich kann‘s kaum glauben. Der Füller hat trotzdem euch gehört und ich will ihn auch nicht mehr, das ist mir alles zu unheimlich. Die Oma hat nie darüber gesprochen, das hätte die Mama sonst sicher mal erzählt.“
Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
Die Tante Resi streichelte mir über das Haar. „Das hätt uns doch eh keiner glaubt, da war‘s schon besser wenn wir nix erzählt haben.“
Ich wollte mich dann auch verabschieden und als ich die Tante Resi herzlich umarmte, musste ich meine Frage doch loswerden. „Was machst denn jetzt mit dem Füller?“
Tante Resi schaute mich an und sagte „Ich mach das richtige damit“.
Das musste mir genügen und auf dem Nachhauseweg hoffte ich auch dass sie das „Richtige“ damit machen würde. Wohl war mir irgendwie nicht und ich machte mir Sorgen um die alte Frau. Auch wenn ich die Geschichte nicht wirklich glauben konnte, zweifelte ich auch nicht an den Wahrheitsgehalt. Mir war immer noch grauselig als ich das Haus meiner Eltern erreichte.

Zwei Tage später fuhr ich wieder nach München zurück, setzte mein Studium fort, verdrückte immer wieder eine Träne, wenn ich an die Oma dachte.
Nach drei Wochen rief meine Mutter wieder an „Kathi, die Tante Resi ist gestorben“.
Nach allem was geschehen war, fuhr ich wieder ins Dorf und begleitete die Tote zur letzten Ruhestätte.
Die Mama erzählte mir, dass die Tante Resi mit ihrem alten Mantel und ihrer Handtasche beerdigt werden wollte.
Am Grab kam der Neffe und Erbe der Tante Resi auf mich zu und übergab mir einen Brief.
„Die Tante hat dir noch was gschrieben, ich soll‘s dir persönlich übergeben. Danke, daß du heute dabei bist, die Tante mochte dich sehr gern“.
 Ich bedankte mich auch bei ihm und steckte den Brief in meine Handtasche.
Als wir wieder zu Hause waren verzog ich mich in mein altes Kinderzimmer und öffnete mit zitternden Händen den weißen Briefumschlag.
Die Schrift war fein leserlich auf feinem grauem Briefpapier mit blauer Tinte geschrieben. Mit klopfenden Herzen las ich.

„Liebe Kathi, bald geht es zu Ende mit mir, ich fühle es und es ist richtig. Lebe ein gutes Leben, und sei ein braves und fleißiges Mädel, dann musst du in dieser Welt keine Angst haben. Der mit dem ich hier schreibe, wird seine letzte Aufgabe hiermit erfüllen. Ich weiß genau, was er vorhat und ich gewähre es ihm ein letztes Mal bevor er endgültig die letzte Reise mit mir antreten wird.
Alles Liebe für Dich, deine Tante Resi.

Ihr blutrot geschriebener Name stach mir unbarmherzig in die Augen, lachte mir höhnisch und spöttisch ins Gesicht.






 
Schwarzes Mistviech
Es war einmal eine Katze, die plötzlich in einem kleinen Dorf in den bayrischen Bergen auftauchte. Sie war wunderschön, hatte glänzendes rabenschwarzes Fell. Die Kinder wollten sie streicheln, weil sie so lieb schnurrte und einem um die Beine strich. Kaum lag aber eine kleine Hand auf ihrem Fell, biss und kratzte sie zu und lief weg.
Sie fraß aus Töpfen, die zum Auskühlen draußen standen, schlich sich in die Wirtsstuben und stahl das Geräucherte. Die Menschen in dem Dorf vertrieben sie, warfen Steine nach ihr. Sie war schneller und verschwand. Kam nach Tagen wieder. Lag in der Sonne und ihre gelben Augen leuchteten wie funkelnde Sterne.
So ein Mistviech. Die anderen Katzen mieden sie wie der Teufel das Weihwasser. Rauften mit ihr und zogen doch alle den Kürzeren. Der war nix heilig. Sogar in die Kirche lief das Viech und soff aus dem Weihwasserkessel. Der Pfarrer verscheuchte sie mit Händeklatschen, um anschließend gleich ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken.
Einer nahm ein Gewehr und schoss auf das Tier. Aber sie war immer schneller, spielte förmlich mit den Kugelgeschossen. Wand sich und lief im Zickzack davon. Die war aus der Hölle gekommen, murmelten die Alten. Die Jungen waren eher genervt von der Dreistigkeit des Viechs. Frech war die und hatte nicht mal vor den Hunden Angst. Eigentlich ein gewöhnlicher Streuner, wären da nicht die Dorfleut.
Eines Tages saß sie wieder einmal auf dem Dorfbrunnen und leckte sich die Tatzen. Die Ohren wie zwei Hörner nach hinten gestreckt, wachsam, neugierig, provozierend. Die kleine Susi, die war schon mal gebissen worden von dem Viech, ging leise und mit vorsichtigen Schritten zu dem Brunnen und schlich sich hinter die schwarze Katze. Die war noch so mit Putzen beschäftigt, dass sie das Mädchen nicht gleich hörte. Susi schubste das Tier mit einem Ruck in den Brunnen. Ein lautes Platschen ertönte und schon schwamm die schwarze Katze tief unten im Brunnen und ruderte mit den Pfoten im Wasser. „Schnell die ersauft jetzt“ schrie Susi und alle Dorfbewohner liefen zum Brunnen und schauten in den tiefen Schacht hinunter.
 „Geh jetzt schreist du Sauviech“.
„Deifi“.

Die Menschen schrien ihre Wut und den Hass auf das Katzenviech raus. „Miau, Miau“ maunzte das Tier und sah nach oben zu den gehässigen Gesichtern.
„Gnade, Gnade“ hörten die Menschen plötzlich aus dem Brunnen. „Gnade, Gnade“. Ganz still wurde es auf dem Dorfplatz. Wie erstarrt gafften die Menschen in den Brunnen, ungläubig was sie gerade gehört hatte. Einer wachte als erstes aus der Starre auf und ließ den Wassertrog nach unten in den Brunnen rattern. Andere beteten ein Vater Unser oder murmelten vor sich hin. Die Katze war aber bereits zu erschöpft um an den Trog zu gelangen. Sie ging langsam im dunklen Wasser unter und war verschwunden.
Mit viel Mühe und Schweiß gelang es einem jungen Burschen den Tierkadaver zu bergen. Er stieg in den Brunnen und fischte das tote Tier heraus. Die Katze wurde noch am selben Tag außerhalb des Dorfes verscharrt. Dummerweise schallte jeden Tag um die gleiche Zeit, als das Tier in den Brunnen gestoßen wurde, ein grauseliges, unheimliches 
„Miau, Miau“ aus dem Brunnenschacht.

Das schwarze Mistviech hatte dem Dorf ein schönes Andenken hinterlassen.



 
 
 Geistertreiben
Draußen ists Nacht und laut pfeift der Sturm.
Geh macht‘s uns auf, lassts uns nei in die Stubn.
Draußen ists koid und wir sind so allein,
verstoßen vom Himmel, vom Leben und Sein.
Draußen da heults, unser schauriges Jammern,
da singen wir Geister unseren einsamen Gsang.
Geh machts uns die Tür auf zu euren Kammern,
mir hocken uns zu eich und rucken fest zamm.
Draußen da stürmts und der Regen setzt ein,
geh seids ned so grausam und lassts uns rein.
Wir nehma eich nix, koa Geld und koan Wein,
wolln nur a bisserl mit dabei sein in eurem Heim.
Draußen wirds heller und die Sonn geht bald auf,
wir miassen jetzt geh, schnell Geister, laufts laufts.
Habts ihr ein Glück ghabt, ihr feige Bagage,
aber morgen kumma wieder, machts euch drauf gfasst.

....weitere Geschichten folgen...