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Ein besonderes Geschenk von Fritzi

Fritzi war ein roter Hauskater, der mit seinem vierköpfigen Personal in einem kleinen Haus in einer ruhigen Gegend lebte. Die Fütterung verlief regelmäßig, die Fritzi mit Schnurren und Schmusen gnädig belohnte. Fritzi war ein Freigänger, der gerne streunte und so manche Pirsch verlief zum nahen kleinen Bach und einer verfallenen Hütte, in welcher eine Mäusekolonie lebte. Was konnte es Besseres geben? Das Leben war herrlich.
In der Winterzeit war Fritzi mehr auf dem Sofa anzutreffen, auf einem Schreibtisch oder in der Küche.
Sein Personal kochte in dieser Zeit gerne deftig und so mancher Happen fiel auf dem Boden oder gleich direkt in Fritzis geöffneten Schlund.

Einmal im Jahr, Fritzi war drei Jahre alt und kannte das Ritual, stand ein Tannenbaum mit allerlei Glitzerzeug im Wohnzimmer. Fritzi durfte damit nicht spielen, es wurde in die Hände geklatscht oder „pschpsch“ gerufen und Fritzi zog sich zurück. Egal, wenn er wollte, könnte er in der Nacht den kompletten Baum umwerfen, es wäre ein Kinderspiel, aber er hatte Manieren. Er liebte seine Dosenöffner.

Am Heiligen Abend gab es saftige Hühnerschenkel ausgelöst, extra für ihn und wenn die ganze Familie gerührt unter dem Christbaum saß und Geschenke auspackte, schnurrte Fritzi satt auf dem Sofa zufrieden vor sich hin.

Am ersten Feiertag gab es Fisch und auch da kam Fritzi nicht zu kurz. Weihnachtslieder wurden gesungen, die Kinder spielten mit ihm, der Christbaum leuchtete in der Ecke, alle waren guter Dinge und draußen klirrte die Kälte. So weit so gut.

Am zweiten Feiertag kam wie immer Besuch. Eine ältere Dame, Fritzi konnte sie nicht leiden und die Dame ihn auch nicht. Sie machte einen großen Bogen um ihn rum und scheuchte ihn aus der Küche. Überhaupt trat sie sehr bestimmt auf und ihre knorrige Stimme hallte durch das ganze Haus. Fritzi spürte, dass die Dame nicht wirklich willkommen war. Die ganze Familie war angespannt. Fritzi verzog sich meistens in ein Kinderzimmer oder ging nach draußen.

Am frühen Abend, die Familie kochte und die Dame mischte sich in der Küche überall ein. Fritzi fixierte sie eine Zeitlang mit seinen grünen Augen und verließ dann durch seine Klappe das Haus. Ein bisschen Bewegung war sicher nicht verkehrt. Er schlich zu der Hütte und konnte sein Glück kaum fassen. Eine Maus spazierte im Schnee direkt vor seiner Nase.  Diesen Anblick konnte Fritzi natürlich nicht lange mit ansehen und schnappte sich das kleine Tier. Zum Spielen war es zu kalt also nix wie zurück ins Haus. Fritzi wusste, dass er das eigentlich nicht durfte, aber er hatte einen Plan.

Vorsichtig stieg er durch die Klappe, die Maus war schon in eine Schockstarre verfallen. Die Familie saß am Esstisch und lauschte der sperrigen Stimme der Dame. Fritzi stolzierte in den Raum schnurstracks zu der Dame und strich an ihrer Wade entlang. Diese hielt mit ihrem Monolog kurz inne und sah nach unten zu Fritzi mit der Maus im Maul.

Die Dame stieß einen schrillen Schrei aus, sprang erst auf den Stuhl und dann auf den festlich geschmückten Tisch und kreischte wie am Spieß. Die ganze Familie redete mit Händen und Füßen und versuchte die wild gewordene Dame wieder zu beruhigen. Es war herrlich, aber Fritzi hatte genug gesehen. Er verschwand aus dem Zimmer und schlich durch die Klappe zurück zu der Hütte. Er ließ die Maus los und diese verschwand nach kurzem Zucken in der Dunkelheit. Schließlich war Weihnachten, da war Fritzi gnädig und die Maus hatte auch dazu beigetragen, dass die Dame, welche noch am selben Abend abreiste, nicht mehr gesehen wurde. Fritzi bekam ab diesem Zeitpunkt jedes Jahr zu Weihnachten eine aus Hackfleisch geformte Maus geschenkt.

 

Ein kleines Weihnachten

„Junge, sieh mich an. Früher war ich ein Herzensbrecher und harter Knochen und jetzt liege ich wieder in den Windeln. Zahnlos geboren und genauso zurück ins Jenseits. So schließt sich der Kreis“ lachte Hans Julian ins Gesicht. „Ich sag dir was, die Menschheit ist besser dran, wenn sie sich bald selbst von dem Planeten schießt. Wir sind genetischer Sondermüll. Nicht mehr verwertbar“. Julian grinste und schüttelte den Kopf. Hans war immer gut drauf, mit einer scharfen Selbstironie und trotzdem mit viel guter Laune und oft einen derben Spruch auf den Lippen.
Julian absolvierte nach seinem Abitur drei Monate ein Praktikum in einem Pflegeheim und die alten kranken Menschen waren für Julian immer eine Bereicherung gewesen. Er wollte Medizin studieren und der Einsatz hier war ein guter Einstieg, um mit und für Menschen zu arbeiten. Julian durfte natürlich alles mit einer gewissen Distanz erfahren, die Unterstützung der Pflegekräfte war zwar anstrengend aber sehr lehrreich. Selten erlebte er ein so befriedigendes Gefühl etwas wirklich Nützliches getan zu haben.  Julian wollte nach seinem Einsatz erstmal für ein Jahr nach Australien, ein Work und Travel absolvieren. Julian war mit einer gut bürgerlichen Familie gesegnet. Ein Wohlstandskind seiner Zeit. Trotzdem, oder genau deshalb wollte er in einem Pflegeheim mithelfen. Die reale Welt erleben, den harten Boden der Tatsachen, bevor es nach den Weihnachtstagen nach „Down Under“ ging. Heute wollte er sich von seinen zwei seiner Lieblingspatienten verabschieden. Es war ein Tag vor Heilig Abend und in der Adventszeit half Julian in der Station aus mit allem was er eben so konnte und durfte. Essen ausgeben, Kaffeenachmittage mit organisieren, der Nikolaus kam mit Geschenken und es gab Plätzchen. Den Schwestern zur Hand gehen. Die vielen alten Menschen unterhalten, zuhören und kleine Bitten erfüllen. Das ganze Team war mit seiner Mitarbeit zufrieden.

Jetzt saß er bei Hans, einem ehemaligen Malermeister, der seit zwei Jahren im Pflegeheim lag und dort auch sterben wird, so wie eben alle Menschen an diesem Ort. Er war Witwer und hatte einen Sohn, der im Ausland lebte. Er bekam keinen Besuch. Alle in seinem Bekanntenkreis waren bereits gestorben. Hans war ein Mann, der immer hart arbeitete und nicht viel verlangte vom Leben, aber wenn er erzählte klang er nicht verbittert. Er war witzig und immer noch gut informiert. Sein kleiner Betrieb war sein Herzstück und als er krank und allein war, nach über 40 Jahren harter Arbeit lag er jetzt in seinem Pflegebett und wartete seinem Ende entgegen. Julian hatte bereits eine Oma verloren und wusste was es hieß, Abschied zu nehmen.
„Hans, was war ihr schönstes Weihnachten?“ Julian saß an Hans Bett und reichte ihm den Tee in der Schnabeltasse. Er half dem alten Mann damit er nichts verschüttete. Hans trank vorsichtig und legte seinen kahlen Kopf zurück auf das Kissen.

„Wenn du mich so fragst, eigentlich als ich noch ein Kind war. Wir hatten ja nichts und Weihnachten gab es auch nichts, aber die Eltern waren beide am Heiligen Abend nicht auf dem Feld oder im Kuhstall, sondern in der Küche und spielten mit uns. Mutter kochte einen Braten und unser Vater las uns Kindern vor. Der Christbaum war mickrig, aber die Kerzen auf dem Baum waren wunderbar. Wir sangen zusammen und es war einfach heimelig. Als ich selbst eine Familie hatte, waren unsere Weihnachten auch sehr schön, aber so richtig dieses Weihnachtsgefühl verspürte ich in meiner kleinen zugigen Bauernstube. Ich hoffe, meine Martha im Himmel ist mir jetzt nicht beleidigt“ schmunzelte der alte Herr. Er sprach oft von seiner verstorbenen Frau und er vermisste sie jeden Tag. Das wusste Julian.
„ Weißt du Weihnachten ist ein hohes Fest aber eigentlich wollen die Menschen doch am meisten die friedliche Stille in sich erleben. Jeder hat sein eigenes kleines Weihnachten.“ Julian nickte. In seiner Familie wurde Weihnachten meisten laut und mit vielen Menschen gefeiert, es war eher eine Party. Seine Eltern luden Verwandte und Freunde ein und jeder brachte Essen mit und später wurde getanzt und ordentlich gebechert. Besinnlichkeit eher Fehlanzeige.
Das erzählte er Hans aber nicht. Er wollte einfach nur neben ihm sitzen und zuhören.
„Du musst aufpassen da unten wo du bald hinfährst, das rote Land ist gnadenlos und eigentlich waren das alle Verbrecher“. Hans tätschelte Julian die Hand und schloss die Augen. „Ach, hör nicht auf mich, ich bin ein dummer Narr.“ Der alte Mann wurde langsam müde. Julian spürte, dass er sich verabschieden musste.

„Vielen Dank Hans und ich wünsche ihnen ein schönes Weihnachtsfest. Ich hoffe, sie nehmen im Aufenthaltsraum bei der Weihnachtsfeier teil? Es gibt Rinderbraten und danach Stollen und Glühwein“. Julian wusste, dass Hans immer noch gerne aß und trank.

„Sicher, ohne mich läuft hier nichts. Alles Gute für dich und danke für deine Hilfe“. Die beiden gaben sich die Hand und Julian verließ das Zimmer. Er schluckte. Das ging ihm sehr nahe. Es war sicher, dass er den alten Herren nicht mehr sehen wird, wenn er wieder zurückkam und dem Heim einen Besuch abstatten wird. Er atmete kurz durch und da kam ihm Buffy, die Stationshündin entgegen. Buffy gehörte der Heimleiterin und durfte, soweit erlaubt, mit den alten Menschen spielen oder einfach bei ihnen sein, wenn sie es wollten. Buffy war hier der Liebling. Julian strich der Mischlingshündin über das seidige Köpfchen.

„Komm Buffy, wir gehen jetzt zu Selma.“ Selma war eine vornehme alte Dame. Sie war Julian gegenüber stets höflich und korrekt, ein Grand Dame. Sie hatte etwas erhabenes. Julian unterhielt sich immer gerne mit ihr. Sie war bei klarem Verstand und sehr gebildet.
Sie gingen in Richtung Privatstation weiter, Buffy ganz brav an Julians Seite. Auch dich werde ich sehr vermissen, dachte er bekümmert. Dieser Einsatz hatte wirklich etwas mit ihm gemacht.

Er klopfte an die Tür und sie traten ein. Selma saß in ihrem Rollstuhl am Fenster. Ihr Zimmer ging direkt zum kleinen Marktplatz hinaus, ein Christkindlmarkt war dort aufgebaut und ein wunderschöner Christbaum funkelte vor sich hin.
„Wie schön, dass ihr beide vorbeischaut. Kommt rein“ freute sich die alte Dame und klopfte mit ihrer faltigen Hand auf den freien Stuhl gegenüber. Buffy wedelte freudig mit dem Schwanz und setzte sich artig neben den Rollstuhl.
„Ich wollte mich verabschieden und ihnen schöne Weihnachten wünschen“ Julian setzte sich und Selma nickte. Sie trug ihr weißes volles Haar hochgesteckt und sah wie immer sehr gepflegt aus.
„Das ist sehr freundlich mein lieber Julian. Wir werden sie alle vermissen, nicht wahr Buffy?“ Die Hündin sah hoch mit ihren treuen Augen und macht leise „Wuff“.
Selma lachte und Julian stimmte mit ein.
„Ich werde sie auch alle vermissen. Ich habe eine Menge gelernt und vieles hat mir auch wirklich zugesetzt und manchmal war es schwer auszuhalten, aber jetzt weiß ich auch das mein Studium die richtige Wahl ist. Ich will Menschen helfen.“
„Dann war ihr Einsatz hier genau richtig, nichts ist immer nur leicht und unbekümmert. Das Leben ist eher das Gegenteil und doch hängen wir an ihm fest. Ich finde es sehr mutig von ihnen Arzt zu werden, es braucht dazu eine große Verantwortung und Zuversicht. Aber sie meistern das. Aber erst müssen sie ihren Auslandsaufenthalt genießen. Grüßen sie Sydney von mir.“ Selma war schon sehr weit gereist. Für eine Frau ihrer Generation eher ungewöhnlich. Julian war immer sehr beeindruckt, wenn Selma von ihren Reisen erzählte. Anscheinend war Selma immer allein unterwegs. Sie war eine Tochter aus gutem Hause. Sie schrieb Reiseberichte für einen Verlag. Heute wäre sie eine Bloggerin. Sie bekam auch keinen Besuch. Es schien ihr nichts auszumachen.

„Selma, was war ihr schönstes Weihnachten?“ fragte Julian auch sie.
Die alte Dame sah ihm in die Augen. „Meine Eltern waren Atheisten, wir feierten keinen Heiligen Abend. Ich sah einen Christbaum nur auf dem Weihnachtsmarkt. Als ich zum Reisen anfing, erlebte ich in unterschiedlichen Kulturen das Christfest. Aber liebsten war ich allein. Ich wollte mein eigenes kleines Weihnachten nur mit mir selbst feiern, egal wo ich mich aufhielt.“

So ähnlich hatte es Hans heute auch schon formuliert, dachte sich Julian im Stillen.
Das kleine Weihnachten nur für einen selbst.

„Kennen sie das Lied „Have yourself a merry little Christmas“ von Judy Garland? Ich liebe dieses Lied. Ich hoffte früher immer es im Radio zu hören, später kaufte ich mir die Schallplatte und nahm diese überall mit.  Ich lauschte diesem herrlichen Song und zündete eine Kerze an, meistens irgendwo in einem Hotelzimmer mit Plattenspieler. Mehr brauchte ich nicht um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Das war immer einer meiner schönsten Momente im Leben“.
Selma schaute aus dem Fenster und ihre blauen Augen glitzerten leicht.
„Ich kenne das Lied glaube ich von Katie Melua. Judy Garland sagt mir gerade nichts, aber ich werde es mir anhören auf dem Smartphone.“ versprach Julian.  „Sie gehen aber schon zu der Weihnachtsfeier morgen Abend?“
„Mal sehen. Zum Essen schon, anschließend habe ich hier mein Date mit Judy“ schmunzelte sie.
Selma legte ihre faltige kleine Hand auf seine und drückte ihn leicht. „Machen sie etwas Großartiges, nehmen sie sich alles was das Leben ihnen bietet und seien sie ein guter Mensch dabei, dann ist es der richtige Weg“.
„Das versuche ich Selma und vielen Dank für alles“.
Julian stand auf und Buffy erhob sich ebenfalls, streckte sich und lief zur Tür.
„Ich danke ihnen und auch das sie mir gerade diesen wunderbaren Moment der Erinnerung geschenkt haben. Ich wünsche ihnen ein wunderschönes kleines Weihnachten“. Selma lächelte ihm zu. Julian winkte Selma ein letztes Mal und verließ das Zimmer.
Er ging im Flur in die Hocke zu Buffy und knuddelte sie. „Komm Buffy, es wird Zeit“. Sie gingen zusammen in die Stationsanmeldung und Julian verabschiedete sich von allen Schwestern die gerade Dienst hatten. Er wurde gelobt und gedrückt und er bekam Plätzchen geschenkt. Julian streichelte noch einmal Buffy, schlüpfte in seine Daunenjacke und verließ mit seinem Rucksack das Pflegeheim.

Auf dem Weg nach Hause, setzte er seinen Kopfhörer auf, holte sich den Song von Judy Garland und ihre wunderbare Stimme trug ihn durch die stille Winternacht nach Hause zu seiner Familie und in die weite Welt.

 

Ein Geschenk des Himmels

Margot stand mit Hitzewallungen in der Vorweihnachtszeit in ihrem Bad und machte sich zurecht. Lotte, ihre siebenjährige Enkeltochter führte heute bei der Schulweihnachtsfeier in der Aula der Grundschule ihr Flötensolo vor. Ein mutiges Kind. Margot war stolz. Als alleinerziehende Mutter einer Tochter, die dann selbst früh Mutter wurde, aber dem Himmel sei Dank glücklich verheiratet war, wusste Margot am besten wie schwer es war ein Kind gesund und wohlerzogen groß zuziehen. 

Margot tuschte ihre Wimpern und legte Lippenstift auf. In der Aula war es sicher brütend warm und sie hatte vorsorglich eine leichte Baumwollbluse zur lockeren Hose angezogen. Margot litt mit 57 Jahren an den Ausläufern der Wechseljahre und sie hoffte inständig, dass es bald ein Ende hatte. „Spätpubertät mit üblem Ausgang“ nannte es ihre liebe Kollegin, die mit sechzig endlich durch war und sich in den Vorruhestand verabschiedet hatte. Margot vermisste sie sehr.

 Ich trage auch zum Klimawandel bei, mich sollte man anzapfen, ich bin ein Kernkraftwerk, dachte sie grimmig und huschte aus dem Bad und schlüpfte in ihren Mantel und Stiefel. Der kurze Gang zur Schule in der frischen Luft tat bestimmt gut und Margot konnte sich hoffentlich etwas runterkühlen. 

Sie dachte an ihre letzte Unterhaltung mit Lotte als sie das Haus verließ.

 „Bernhard sagt, wir Menschen dürfen uns nicht beschweren über das Wetter, weil wir den Klimawandel selbst verursachen“ belehrte sie Lotte letzten Samstag beim Frühstück. Sie durfte bei Oma übernachten und Margot schimpfte gerade darüber, dass es wieder keinen Schnee  gab am 1. Advent.

„Wer ist denn Bernhard, dein Mitschüler?“ fragte Margot. Lotte trank ihren Kakao und schüttelte den Kopf.  „Nein unser Hausmeister, der ist voll cool. Er kommt als Nikolaus zur Weihnachtsfeier und verteilt Süßigkeiten“. „Aber der Nikolaus kommt doch vom Himmel…“setzte Margot an, aber ihre Enkelin verdrehte die Augen „Omaaaa, der Nikolaus hat doch jetzt voll viel zu tun, der braucht doch seine Helfer“. „Ach so, da hast du natürlich recht“, nickte Margot zustimmend.

 Margot schmunzelte vor sich hin. Ihre Tochter Bianca sah ihr so ähnlich als sie in Lottes Alter war. Sie erinnerte sich wie heute, als man ihr nach der schweren Geburt das kleine Bündel in die Arme legte, der Kindsvater war da bereits über alle Berge. Margot wusste, dass sie jetzt stark sein musste und sie schaffte es mit ihrem Job als Verwaltungsangestellte mit sicherem Einkommen einigermaßen Bianca und sich durchs Leben zu tragen. Sie hatte immer alles gegeben. Geschenke zur rechten Zeit, kleine Urlaube, viel Zeit zum Spielen und schwimmen gehen, morgens ein Frühstück vor der Schule, all diese essenziellen Dinge, die heute anscheinend bei vielen Familien nicht mehr möglich waren.

Margot wusste, dass sie vieles richtig gemacht hatte und als Bianca ihr Abitur in der Tasche hatte und studieren wollte, da platzte Margots Herz fast vor Stolz. Mit Lotte wurde ihr Glück perfekt, nur der richtige Mann an ihrer Seite, den hatte sie nicht gefunden. Der Erzeuger war ein peinlicher Ausrutscher nach einer feuchtfröhlichen Feier, aber Margot übernahm die Verantwortung und entschied sich für das Leben in ihrem Bauch. Da sie keine Familie in der Stadt hatte, ihre Eltern lebten damals schon auf dem Land, war sie gezwungen ein gutes Netzwerk aufzubauen. Sie lernte dadurch viele Frauen mit gleichem Schicksal kennen und es entstanden Freundschaften, die auch heute noch hielten. Als Bianca ein Teenager war, konnte Margot auch öfters abends losziehen. Sie lernte alles kennen, Langweiler, Säufer, Angeber, Besserwisser, aber ein Mann, an den sie sich anlehnen wollte, war nicht dabei. Ein paar Bekanntschaften mit gelegentlicher Übernachtung, mehr gab es nicht. Dating Portale waren nicht ihr Ding und trotz aller Niederlagen war Margot alles andere als frustriert.  Sie freute sich immer an dem was sie hatte und lief nicht irgendeiner Träumerei hinterher.

 Und jetzt durfte sie bei der Aufführung des Weihnachtskonzertes dabei sein und Lotte bewundern. Sie ging durch die kleine Fußgängerzone ihrer Stadt. Ein herrlicher Christbaum leuchtete auf dem Marktplatz und sie marschierte an den Glühweinständen vorbei Richtung Grundschule. Ihre alte Grundschule, Biancas und jetzt Lottes Schule. Wie die Zeit verging.

Margot erreichte das alte Gebäude und ging zur Aula. Bianca und ihr Schwiegersohn Carl waren sicher schon eingetroffen mit all den anderen stolzen Eltern.

Alles war weihnachtlich geschmückt und es ging bereits zu wie im Taubenschlag. Margot legte ihren Mantel ab und winkte ihrer Tochter zu. Lotte stand schon mit den vielen anderen Kindern bei dem Nikolaus, Hausmeister Bernhard, der eifrig aus seinem Sack allerlei Süßkram verteilte. Ein Gong ertönte und die Eltern wurden gebeten sich langsam zu setzen. Lotte verschwand mit den anderen Kindern hinter die Bühne und Margot setzte sich zu Carl und Bianca. Die Vorführung war zauberhaft, die Kinder spielten fehlerfrei und voller Hingabe und Margot spürte eine wunderbare Vorfreude auf Weihnachten. Sie feierten den Heiligen Abend zusammen bei Bianca und es war immer sehr stimmungsvoll und entspannt. Es gab eine kleine Pause bevor ein Krippenspiel vorgeführt wurde und Margot spürte bereits die ersten Wallungen in sich hochkriechen. „Ich geh mal kurz an die frische Luft“ sagte Margot zu ihrer Tochter und sie schnappte sich ihren Mantel bei der Garderobe und schlüpfte durch die Terrassentür in die nächtliche Kälte. Das tut gut, dachte sie erleichtert und sie machte kurz die Augen zu. Jemand räusperte sich leise und sie sah Bernhard der Hausmeister in einer Ecke stehen. Er hatte seinen weißen Bart abgenommen und lächelte sie an. Seine Wangen waren ganz rot.

„Ganz schön stickig da drin und der Stoff ist wie ein Panzer“, schnaufte er in die kalte Luft.

„Das stimmt“, nickte Margot, „ging mir genauso. “ Bernhard lächelte immer noch und kam auf sie zu. Er war groß und stattlich und hatte ein freundliches Gesicht mit warmen Augen die viele Lachfältchen hatten.
„Meine Enkelin Lotte Becker spielte beim Konzert mit, ich bin Margot Keller, ihre Oma“, stellte sie sich vor.
Nikolaus Bernhard zog die Stirn zusammen und man merkte richtig wie es in ihm arbeitete.
„Margot Keller, die Margot die in der dritten Grundschulklasse neben mir gesessen hat?“
Margot starrte den großen Mann im Nikolauskostüm an. „Das gibt’s doch nicht, Bernhard Wiesner?“
„Der und kein anderer. Ich glaub‘s nicht, die kleine freche Margot“ lachte Bernhard und Margot stimmte mit ein. Bernhard war ein Jahr neben ihr gesessen und sie haben gegenseitig abgeschrieben und konnten sich gut leiden. Er war später weggezogen und sie hatten sich aus den Augen verloren.
„Meine Lotte ist ganz begeistert von dir“, Margot sah in seine braunen Augen und sie fühlte sich plötzlich wieder wie ein kleines Mädchen.
„Naja, ich tue mein Bestes die kleinen Damen und Herren administrativ durch den Tag zu bringen. Mensch Margot, das freut mich wirklich dich wieder zu sehen. Gut siehst du aus und Oma bist du schon, kann ja nicht sein“ Bernhard schüttelte den Kopf.
„Ja die Zeit vergeht und jetzt stehen wir hier“. Margot und Bernhard drückten sich die Hände und beide fühlten eine wunderbare Nähe und Vertrautheit in der kalten stillen Winternacht.
„Margot, lass uns doch mal einen Kaffee trinken gehen, hast du Lust? Ich freue mich so dich wieder getroffen zu haben. Ich meine falls dein Mann nichts dagegen hat“, fügte er schnell hinzu.
„Es gibt keinen und ich würde sehr gern einen Kaffee mit dir trinken gehen, falls deine Frau nichts dagegen hat“, sagte sie ebenfalls. Bernhard schüttelte den Kopf.
„Es gibt keine und ich freue mich jetzt schon auf unseren Treff. Ich gebe dir gleich meine Handynummer, dann kannst du mich anrufen, nach den Feiertagen, wenn es passt für dich.“ Er zog sein Handy aus dem roten Gewand und Margot legte in ihrem Smartphone einen neuen Kontakt an. Sie gab ihm ebenfalls ihre Nummer und sie lachten wieder, weil es so komisch und überraschend war, wie sie beide rumstanden, der Nikolaus und sie und verstohlen Nummern tauschten.

„Jetzt sollten wir wieder reingehen, wir werden sicher schon vermisst“ Margot schaute durch das Fenster, das Krippenspiel ging langsam los. Bernhard öffnete ihr die Türe und sie betraten gemeinsam die Aula und gingen an ihre Plätze zurück. Bernhard drückte ihr vorher noch kurz die Hand und Margot lief ein kleiner Schauer über den Rücken.

Als es dunkel wurde und die Vorführung begann, klopfte Margots Herz aufgeregt vor sich hin. Es war unglaublich, was für ein Zufall. Sie konnte es immer noch nicht fassen, in ihrer alten Grundschule einen ehemaligen Mitschüler wieder getroffen zu haben. Bernhard, der coole Hausmeister, der Klimaversteher und Gehilfe vom Nikolaus und sie hatte ein Date mit ihm. Einfach so.

Als die Vorführung zu Ende ging setzten sich die Familien mit allen Lehrern noch etwas mit Tee und Plätzchen zusammen. Lotte wurde überschwänglich für ihren Auftritt gelobt und freute sich.

Margot schaute immer wieder verstohlen zu Bernhard, der zwei Tische weiter saß und sich mit dem Rektor und dessen Frau unterhielt. Nach einiger Zeit stand er auf und winkte Margot zu und gab ihr zu verstehen, dass er los musste. Er machte ein Zeichen mit der Hand, das hieß, wir rufen uns zusammen. Margot winkte zurück und strahlte über das ganze Gesicht und nickte ihm zu. Lotte hatte natürlich alles beobachtet und schlich zur ihr und setzte sich auf ihren Schoss und flüsterte ihr ins Ohr.

„Der Nikolaus hat wirklich einen netten Gehilfen, gell?“ gluckste sie schelmisch und dann musste Margot laut lachen. „Das stimmt mein Schatz, er ist wirklich wie ein Geschenk direkt vom Himmel.“

Weihnachtsgeschichten am Kamin 35:
Gesammelt von Barbara Mürmann 
(Deutsch) Taschenbuch – 13. Oktober 2020
von 
Barbara Mürmann (Herausgeber)
Rowohlt Verlag